Gudrun Hentges:
Staat und politische Bildung -
Von der „Zentrale für Heimatdienst“
zur „Bundeszentrale für politische Bildung“
Wiesbaden: Springer-Fachmedien 2013 (493 S.)
Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) konnte zum Jahresende 2012 ihr 60-jähriges Bestehen feiern. Gudrun Hentges, Professorin für Politikwissenschaft an der Hochschule Fulda, hat in ihrer zeitgeschichtlichen Dokumentation das erste Jahrzehnt dieser Institution der Bonner Republik akribisch rekonstruiert. Schon der Untertitel der fast 500 Seiten starken Studie verweist auf Kontroversen in den Anfangsjahren, die 1963 sozusagen mit einem neuen „Firmenschild“ für diese Behörde abgeschlossen wurden. Von ihrer Gründung 1952 bis 1963 lautete die offizielle Institutionsbezeichnung zunächst noch „Bundeszentrale für Heimatdienst“, und genau dieser Vorgeschichte der BpB gilt die Arbeit von Hentges. Sie bietet höchst informationsreiche Einblicke ins Wirkungsgefüge der Regierung Adenauer - am Beispiel dieser neuen Institution, die anfangs von den westlichen Besatzungsmächten im Rahmen der „Reeducation“-Programme ins Gespräch gebracht worden war. Schon Ende 1949 wird aber das Bundeskanzleramt (Dr. Hans Globke) in der Sache tätig und beginnt eigene inhaltliche und personelle Vorstellungen von dieser Bildungsbehörde zu entwickeln. Bei der Diskussion um Bezeichnung, Zuordnung und Zuständigkeiten sind auch bald das Innenministerium (BMI), das Bundespresseamt und das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen involviert, wobei Kontroversen nicht ausbleiben.
Soll die neue „Zentrale“ die Politik der Regierung erläutern, gar Propaganda-Arbeit übernehmen - oder geht es um parteiübergreifende Bildungsaufgaben ? Das liest sich spannend, und auch die Suche nach einem ersten Leiter des Hauses ist ein faszinierender „Stoff“, bei dem man vergessen kann, dass man eine akademische Qualifikationsschrift in Händen hält.
Die Personalentscheidung für das Amt an der Spitze fällt auf Dr. Paul Franken, einen alten Vertrauten Adenauers; man kennt sich aus gemeinsamen Zeiten in einer katholischen Verbindung. Franken war seit 1933 NSDAP-Mitglied, wurde aber 1938 aus der Partei ausgeschlossen. Leider bleiben die Gründe etwas im Dunkeln. Während des Krieges steht er in Rom im Kontakt mit Admiral Canaris, dem Leiter der „Abwehr“, des Geheimdienstes der Wehrmacht. Laut Franken ging es u. a. darum, mit ihm über den Vatikan Kontakte zu den Alliierten zu knüpfen, um einen Waffenstillstand an der Westfront zu erreichen. Dies gehörte zu den Plänen der Widerstandskreise im Umfeld des 20. Juli 1944.
Hentges weist darauf hin, dass erhebliche Teile der Biografie Frankens erst nach seiner Pensionierung bekannt wurden.
Bei der Namensfindung für die neue Einrichtung setzt sich 1952 eine Bezeichnung durch, die an die „Reichszentrale für Heimatdienst“ anknüpft.Diese Institution sollte einmal in den letzten Kriegsmonaten des Ersten Weltkriegs die Moral an der Heimatfront stärken. In der Weimarer Republik wurde ihr die Aufgabe zugedacht, Regierungspolitik zu erläutern. Ihre Auflösung bzw. Übernahme ins Reichspropagandaministerium erfolgte 1933.Im Buch von Hentges erfahren wir, dass das Bonner Innenministerium eine vergleichbare Funktion für die neue Zentrale entschieden ablehnte - sehr zum Missfallen des Bundespresseamts. Minister (BMI) war zu dieser Zeit Dr. Gustav Heinemann, damals noch CDU-Mitglied. Laut Gründungserlaß von 1952 hat die „Bundeszentrale für Heimatdienst“ nun die Aufgabe, „den demokratischen und europäischen Gedanken im deutschen Volke zu festigen und zu verbreiten.“Die Verfasserin kann dann aber nachweisen, dass schon ab Mitte der Fünfziger Jahre die neue Institution in zunehmendem Maße im Dienst des Kalten Kriegs instrumentalisiert wird. Konkret geht es dabei um die Etablierung des „Ost-Kollegs“ (1957) - einer Art Akademie an der Bundeszentrale, die mit einem Direktorium und zahlreichen Dozenten sich der „geistig-politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus“ stellen sollte, so der damalige Innenminister Schröder. Die Verfasserin kann belegen, dass an diesen Bildungsangeboten auch Referenten beteiligt waren, die sich schon im Dritten Reich im Dienst der NS-Ideologie profiliert hatten.
Die Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit war nie ein besonderes Anliegen der Adenauer-Regierung. In der eigenen Partei und in der Regierungsmannschaft gab es zu viele Betroffene, die an einer gründlichen Erkundung kein rechtes Interesse haben konnten. Die Verschärfung des Kalten Kriegs bot nun eine nicht unwillkommene Gelegenheit, quälende Selbsterforschung abzubrechen und den Blick stattdessen entschlossen nach Osten zu richten - im neuen Auftrag der „psychologischen Abwehr des Kommunismus“ ! Im Kapitel „Streitfälle“ ist im Buch von Hentges allerdings zu lesen, dass es hausintern auch Widerspruch gegen die allzu zügige und beflissene Entsorgung der Fragen aus der NS-Zeit gegeben hat. Als Leiter des Referats VI („Psychologie“) in der Bundeszentrale zog sich Dr. Walter Jacobsen 1960 mit einem Beitrag in der hauseigenen Zeitschrift („Aus Politik und Zeitgeschichte“) den folgenreichen Unmut aus dem Innenministerium zu.
Jacobsen hatte auf antisemitische Anschläge zu Weihnachten 1959 in Köln mit einer Analyse reagiert, die die öffentliche Deutung des Kanzlers Adenauer in einer Fernsehansprache im Januar 1960 als nicht zureichend darstellte. Adenauer hatte die Anschläge lediglich als Taten von „Lümmeln“ bezeichnet und „eine Tracht Prügel“ empfohlen. Seine Rede stand unter dem Motto „Im deutschen Volk hat der Nationalsozialismus keine Wurzeln“. Jacobsen, dem Mitte der 50-er Jahre Texte aus der Autoritarismus-Forschung bekannt geworden waren, vermutete hingegen in der Mentalität der Deutschen eine dauerhafte Charakterstruktur, die solche Exzesse als wohlwollender Resonanzboden erst möglich machte. Diese Abweichung von der „offiziellen“ Deutungslinie des Kanzlers - in einer Zeitschrift der Bundeszentrale ! - hatte Folgen. Nach der alsbald fälligen Pensionierung Jacobsens (noch 1960) wurde das Referat „Psychologie“ im Hause aufgelöst und in einem „Maulkorb-Erlaß“ des BMI verfügt, dass künftig jede Publikation der Bundeszentrale vom BMI geprüft und genehmigt werden müsse.
Gudrun Hentges’ Buch ist reich an solchen Enthüllungen aus der Vorgeschichte der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie sind nicht nur in der Rückschau als Anekdoten eine kurzweilige Lektüre, sondern zeigen, wie eine staatliche Institution in einem Spannungsfeld von Instrumentalisierungen, konkurrierenden Seilschaften und Zeitgeist-Einflüssen um Autonomie kämpfen muß. Trotz des Reichtums an Material ist der Verfasserin ein vorzüglich lesbarer Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik gelungen. Er dürfte denen gefallen, die klare und prägnante Sprache schätzen, aber auch jenen, die Freude an den Perlen haben, die in der Fülle von Fußnoten und minutiösen Belegen zu finden sind.
Rainer Krieger
Dr. Rainer Krieger, Dipl.Psych.Universität Gießen, FB 06/Psychologie
Vorsitzender der Walter-Jacobsen-Gesellschaft e.V., Hamburg
www.walterjacobsengesellschaft.de
Gießen, den 1. Mai 2013